Hintergrund: Die Idee von Fabrication und Eigenproduktion

«Das Rückgrat dieser neuen Ökonomie besteht darin, dass wir unablässig und Schritt für Schritt zu einer Wirtschaftsform fortschreiten, in der wir unsere eigenen Produkte herstellen!» Frithjof Bergmann in «Neue Arbeit, neue Kultur»

Für die meisten von uns ist es eine Selbstverständlichkeit: Wir sind in erster Linie Konsumenten. Wenn wir etwas brauchen, einen Gegenstand oder ein Gerät für den Alltag, kaufen wir ihn. Produzieren tun andere.

Natürlich könnten wir auch selbst etwas herstellen. Aber dafür fehlen uns normalerweise die Werkzeuge, das Geld und oft auch das Know-How. Erst recht, wenn es um komplizierte technische Dinge geht, die wir nicht als Heimwerker produzieren können.

Das erscheint zunächst nicht weiter schlimm. Solange wir Geld haben, konsumieren wir eben. Doch leider haben viele Menschen wenig Geld. Dennoch haben sie Wünsche, Bedürfnisse, Ideen. Nichts zu machen: Sie können sie sich nicht leisten. Damit haben sie auch wenig Einfluss darauf, was eigentlich in der Welt so produziert wird.

Das muss so nicht bleiben, sagen die Wissenschaftler Neil Gershenfeld und Frithjof Bergmann. Unabhängig voneinander haben sie ein Konzept entwickelt, das aus Konsumenten selbstbestimmte Produzenten machen könnte. Gershenfeld nennt sein Konzept „Fab Lab“, kurz für Fabrikationslabor, Bergmann spricht von „Hightech-Eigenproduktion“. Denn beide sind in den letzten 20 Jahren zu dem Schluss gekommen, dass mit der modernen, arbeitsteiligen Welt einiges nicht stimmt.

Frithjof Bergmann begann darüber nachzudenken, als er von General Motors Anfang der 1980er Jahre angeheuert wurde, Tausende von Menschen zu beraten, die bei einer enormen Entlassungswelle ihre Arbeit in den General-Motors-Fabriken verloren. Er stellte damals zum ersten Mal fest, dass viele Industriearbeiter_innen vergessen hatten, was sie eigentlich wirklich arbeiten wollen und was sie wirklich können. Sie schienen sich damit abgefunden zu haben, dass sie eben arbeitslos werden und schlechtbezahlte Dienstleistungsjobs annehmen müssten, weil die Arbeitsplätze in Fabriken und Betrieben allmählich weniger werden. Warum sollen sie nicht eigentlich selbst zu Pro- duzenten werden, dachte Bergmann.

Neil Gershenfeld wiederum wurde durch eine andere Beobachtung angestoßen: Der Siegeszug des bezahlbaren Personal Computers versetzte plötzlich viele Leute in die Lage, selbst zu Produzenten von Computerprogrammen, Bildern, Musik oder Internetdienstleistungen zu werden – Sachen, die sie vorher als Konsumenten hatten kaufen müssen. Der Computer hatte so gesehen etwas Befreiendes. Warum aber, fragte sich Gershenfeld, soll dies nur für Bits, für digitale Informationen gelten? Warum kann man nicht auch die Maschinen, mit denen man richtige Dinge herstellt, so weiter entwickeln, dass wir alle zu Produzenten und damit ein Stück freier werden?

Gershenfeld startete am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge bei Boston einen Universitätskurs zum Thema „How to build (almost) anything“ – „Wie man (fast) alles selbst baut“. Dazu richtete er eine Werkstatt mit computergesteuerten Maschinen ein. Der Erfolg war überwältigend: Im folgenden Semester standen schon 300 Leute Schlange, um bei diesem „Fab Lab“ mitmachen und Dinge bauen zu können, die nur sie im Kopf hatten, die ihnen wichtig waren, die man aber nirgendwo kaufen konnte.

«Die ganze Aktivität war wie ein Chor aus technischen Stimmen, die sagten: ‚Ich bin ich. Ich existiere’», beschreibt Gershenfeld die Begeisterung der ersten Fab-Lab-Nutzer, die plötzlich mehr waren als Konsumenten. Seitdem ist aus dem Fab-Lab-Konzept eine Bewegung in vielen Ländern geworden. Für Menschen in den Industrieländern ist sie mit der Hoffnung verbunden, ganz langsam die Spaltung in wenige Produzenten und viele Konsumenten, die meist in langweiliger Lohnarbeit beschäftigt sind, zu überwinden. Für die Menschen im Globalen Süden wiederum bietet sie die Chance, endlich selbst Dinge herzustellen, die sonst teuer importiert werden.

Der britische Ingenieur Adrian Bowyer, der mit seinen Kollegen einen 3D- Drucker für alle zum Selberbauen entwickelt hat, geht noch einen Schritt weiter. Er hofft, dass all diese Technologien für eine „Personal Fabrication“ vielleicht irgendwann in der Zukunft „ein revolutionäres Eigentum an den Produktionsmitteln durch das Proletariat ermöglichen – ohne den chaotischen und gefährlichen Revolutionskram“. Das ist natürlich noch Zukunftsmusik.

Einig sind sich Bergmann, Gershenfeld und Bowyer darin, dass eine Hightech-Eigenproduktion die Art und Weise, wie wir arbeiten und mit Technik umgehen, endlich demokratisch machen könnte. Eines Tages.

Neil Gershenfeld beschreibt diese Zukunft so:
«So wie unsere Erfahrungen zu der Erkenntnis führten, dass die Demokratie besser läuft als die Monarchie, wäre das eine Zukunft, die auf einem umfassenden Zugang zu den Mitteln technischer Erfindungen aufbaut und nicht auf einer Technokratie.»

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