Zu Besuch im Fab Lab hatten wir vor kurzem Ulf Treger, der von einem Hackathon Ende 2016 in Madrid berichtete. Dort ging es um „Collective Intelligence for Democracy“. Das Ganze fand im Medialab Prado statt, einem Medien- und Makerraum, der von der neuen Stadtregierung in Madrid finanziert wird, auch mit mehreren bezahlten Stellen (so weit ist Hamburg noch nicht). Bürgermeisterin Manuela Carmena (eine bekannte spanische Richterin) kam 2015 über die Wahlplattform „Ahora Madrid“ ins Amt und macht seitdem eine recht fortschrittliche Stadtpolitik. Mit „Decide Madrid“ gibt es beispielsweise eine Weiterentwicklung der bekannten Petitionsserver hin zu einer verbindlichen Entscheidungsplattform für die Kommunalpolitik, wenn bestimmte Anliegen eine gewisse Schwelle an Zustimmung überschreiten.
Es gibt mittlerweile in dreissig Städten in Spanien vergleichbare Plattformen, eine Folge der vielen neuen Stadtegierungen, die aus sozialen, munzipalistischen Bewegungen stammen oder die von diesen unterstützt werden. Das vielgehypete Thema „Smart City“ versuchen diese Kommunen mit Vorsicht und Bedacht anzugehen, erzählte Ulf. Dabei werden drei Grundsätze für städtische Digitalisierungs-Projekte diskutiert:
- Alle entstehenden Daten müssen der Öffentlichkeit gehören.
- Algorithmen dürfen keine Black Boxes, sondern müssen transparent sein.
- Bedarfsanalysen, Aufträge, Durchführung von Projekten müssen offen gelegt werden.
Der Hackathon, an dem auch viele technisch versierte Aktivist*innen aus Südamerika teilnahmen, widmete sich acht Themen:
Turnometro: ein Tool, um die Redezeit auf Versammlungen zu messen. Natürlich geht das auch mit Sanduhren, Weckern und Glocken. Das Besondere an der Turnometro-App ist, dass sich die Zeitmessung über die cloud-basierte App auf allen Smartphones von Teilnehmenden synchronisieren lässt. Damit habe alle Teilnehmenden Zugriff auf dieses Werkzeug.
Digidem Guide: eine Website, die Online-Werkzeuge für neue Formen der Demokratie präsentiert.
Consul + Emapic: ein Tool für Referenden. Die Plattform „Decide Madrid“ nutzt Consul. Im Workshop wurde ein Ansatz entwickelt, Consul mit geografischen Informationen zu verbinden, um den räumlichen Kontext von Abstimmungsvorschlägen zu verdeutlichen.
Democracy Earth: „With the rise of open source software and peer to peer networks, political intermediation is no longer necessary“, schreibt die Projektmacher. Sie entwickeln mit Sovereign ein Blockchain-basiertes Protokoll, das demokratische Prozesse in allen erdenklichen Zusammenhängen ermöglichen soll.
Ulf erzählte dann von seiner Themengruppe „Pushing Together/Empujando juntos“. Darin ging es um die Erweiterung von Pol.is, einer Plattform/App, die große politische Debatten jenseits von konkreten Versammlungen ermöglichen soll. Pol.is skaliert bereits auf Zehntausende von Nutzer*innen und stammt ursprünglich aus dem Occupy-Kontext.
In Pol.is können die Leute Fragen an alle stellen, die Fragen anderer beantworten und ihre Zustimmung oder Ablehnung zu einer Antwort kundtun. Ein KI-basierter Algorithmus teilt die Teilnehmenden dann in Gruppen mit ähnlichen Ansichten ein.
Das im Wesentlichen brasilianische Hackathon-Team, an dem Ulf beteiligt war, erweiterte Pol.is dahingehend, dass sie einen Push-Button hinzufügten. Mit dessen Hilfe können Leute einer Minderheitsgruppe eine Diskussion untereinander anfangen oder Aktionen planen, um ihre (noch schwächere) Position besser zu begründen und bekannter zu machen. Der Ansatz ist eine Reaktion auf Fake-News-Kampagnen in sozialen Netzwerken im Vorlauf des kolumbianischen Referendums 2016, mit denen der Friedensschluss mit den FARC-Rebellen sabotiert werden sollte.
Bemerkenswert ist, dass in Spanien und Lateinamerika in sozialen Bewegungen ein viel größeres Interesse an neuen technischen Werkzeugen besteht als hierzulande.
Wer mehr darüber wissen will, kann hier weiterlesen:
- ein Text über die Projekte des Workshops „Collective Intelligence for Democracy“ im November/Dezember 2016 in Madrid:
http://inteligenciacolectiva.cc/post/156395608682/eight-initiatives-to-reinvent-democracy - ein Text über „Pushing Together“, das Projekt, an dem Ulf beteiligt war:
https://medium.com/cidades-democr%C3%A1ticas/how-pol-is-is-being-adopted-by-cidade-democr%C3%A1tica-in-brazil-1fd744b2aece - und ein toller Text von Bernado vom Participa Lab, über den Background der ganzen Sache, das Konzept Tecnopolitica:
https://www.opendemocracy.net/bernardo-guti-rrez/open-source-city-as-transnational-democratic-future
Alle Bilder bis auf das Erste: Ulf Treger
Ulf Treger arbeitet im Bereich Grafik, Medien und Software, er beschäftigt sich mit urbanen Räumen und digitaler Kommunikation und interessiert sich besonders für deren gegenseitige Wechselwirkungen. Er ist Mitorganisator der Veranstaltungsreihe city/data/explosion. Seine Website: www.dekoder.de