Interview mit Jesko Fezer, Professor für Experimentelles Design an der HfbK Hamburg

„Gutes Design ist soziales Design“

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Jesko Fezer

In Fab Labs werden Laien plötzlich unfreiwillig zu Designern, wenn sie anfangen, für sich selbst Dinge zu konstruieren und herzustellen. Die wenigsten haben sich mit den Grundlagen des Designs länger beschäftigt. Klar ist meistens nur, dass es nicht nur um den schönen Schein geht, um ein elegantes Äußeres. Aber worum geht es dann? Einer, der hier weiterhelfen kann, ist Jesko Fezer, Professor für Experimentelles Design an der HfbK Hamburg. Er hat 2012/2013 mit Studierenden und Stadtteilinitiativen die öffentliche Gestaltungsberatung in St. Pauli Süd, „St. Pauli selber machen“, organisiert. Fabulous St. Pauli hat ihm ein paar Fragen gestellt.

Fabulous St. Pauli: Jesko, ich habe hier einen iPod von 2003. Damals war das Gerät der letzte Schrei. Heute gilt es als klobig, sein Design als altmodisch – nach nur zehn Jahren. Wie kommt das?

Jesko Fezer: Es ist eine offene Wahrheit, dass zumindest ein Teil der Produktindustrie sich  neue Absatzmärkte eröffnet, indem sie ästhetische Erscheinungsbilder künstlich altern lässt, also die Form von Modell zu Modell so verändert, dass die Vorgängerversion weniger attraktiv wirkt. Wenn die Sachen von vor zehn Jahren immer noch gut aussehen würden, wäre es schwierig, allein aufgrund technischer Verbesserung neue Produkte zu verkaufen. Technische Innovation steigert in den seltensten Fällen das Konsumbedürfnis so sehr, dass Menschen dafür auch wirklich Geld hinlegen.

Fabulous St. Pauli: Ist das der Grund für den aktuellen Design-Boom?

Jesko Fezer: Womöglich der Hauptgrund, ja. Der Massenmarkt der Nachkriegszeit war irgendwann versorgt: Alle hatten eine Waschmaschine, ein Auto, ein Telefon, einen Föhn und genug Stühle. Das war für die Konsumindustrie ein ernsthaftes Problem. Der einzige Ausweg war, so etwas wie Veralterung als Entwertung einzuführen, und dafür ist Design ein ganz hilfreiches Werkzeug. Die Zyklen werden kürzer, die Intensität der Bewerbung und Gestaltung wird höher. Der zweite Grund für den Boom ist wohl, dass Design kaum mehr auf den praktischen Gebrauch der Dinge zielt, sondern ein Mittel zur Identitätsfindung, zur Selbstdarstellung und zur Abgrenzung geworden ist.

Fabulous St. Pauli: Das kann man am Apple-Design gut beobachten. Interessanterweise erinnert es an das Braun-Design von Dieter Rams, der heute wieder gefeiert wird. War Rams ein Visionär, dessen Gestaltung sich nun am Ende doch als Standard etabliert hat, nach all den postmodern-kugeligen Alessi-Kannen der achtziger Jahre?

Jesko Fezer: Man muss sich zwei Sachen anschauen. Einmal: Wo kommt dieser Rams eigentlich her? Aus der an der HfG Ulm reinterpretierten klassischen Moderne, aus dem wirtschaftlich fokussierten Funktionalismus der Nachkriegszeit. Hier hat sich eine minimalistische Formensprache entwickelt aus Einfachheit, Sparsamkeit, Rationalität, effektiver Materialausnutzung, Einsatz von Maschinen und aus sozialen Anliegen. Die Frage war: Wie kann man etwa günstige gute Möbel in der Massenproduktion herstellen? Durch Weglassen von Dekors und durch Standardisierung. Das führte zu Reduktion und Vereinfachung, weil es eben anders nicht herstellbar gewesen wäre.

Das Nachkriegsdesign  war außerdem auch ein Gegenmodell zum Nazi-Deutschland, es stand für Offenheit, Demokratie, für eine Art Selbstreinigung durch westliche Konsumkultur. Auch daran kann man sehen, dass das funktionalistische Design nicht die zeitlose, wahre Form an sich suchte und fand. Ich glaube aber, dass das Apple-Design beispielsweise Rams sehr bewusst zitiert, um einen gewissen Wahrheits- und Richtigkeitsanspruch auszudrücken: eine Ewigkeit und Endgültigkeit andeuten, die das blanke Gegenteil der Produkte mit ihren kurzen Lebenszyklen darstellt.

Fabulous St. Pauli: Die meisten Menschen verstehen unter Design nur das Erscheinungsbild.

Jesko Fezer: Insbesondere wird dabei der Kontext eines Gegenstands übersehen: Wo wird er hergestellt? Welche Folgen hat sein Gebrauch? Wie kann er repariert werden? Welche ökologischen Effekte hat seine Produktion? Unter welchen Arbeitsbedingungen wurde er geschaffen? Das sind meines Erachtens ganz wesentliche Fragen beim Design, die aber auch von Designern nur wenig reflektiert werden.

Fabulous St. Pauli: Können sich Designer über diese Fragen überhaupt Gedanken machen?

Jesko Fezer: Klar, aber ihre gestalterische Freiheit ist zum Beispiel innerhalb großer Unternehmen ziemlich begrenzt. Denn die haben Absatzmärkte, Kundenprofile, Marktforschung im Blick. Beim neuen Golf wurde beispielsweise beklagt, dass man gar nicht erkenne, dass er neu sei. Natürlich ist die Hauptaufgabe eines Autodesigners, die Wiedererkennbarkeit nicht zu gefährden und gleichzeitig ein kleines Detail, eine Linienführung so zu ändern, dass er sich vom Vorjahresmodell unterscheidet. Aber auch nicht zu weit vorzugreifen auf das nächste Jahr. Das ist eine Form von Redesign, die auf Wiedererkennbarkeit und Imagebildung abzielt und gleichzeitig Innovation behauptet. Eine sehr abgeschmackte Form von Industriedesign.

Fabulous St. Pauli: Wie würde ein Designprozess idealerweise aussehen?

Jesko Fezer: Sich zum Beispiel bei einem Stuhl die Frage zu stellen: Warum sitzen wir überhaupt? Ist es gesund zu sitzen? Sollten wir lieber stehen beim Schreiben, oder auf dem Boden sitzen? Sollten wir liegen? Eine Stuhlfirma wird diese Fragen natürlich nicht stellen. Das wäre sehr riskant. Aber ein Designer muss sich diese Fragen stellen.  Ihn sollte interessieren wie man sich in einem Raum verhält, beim Essen, beim Arbeiten, beim Ausruhen.

Fabulous St. Pauli: Der Designtheoretiker Lucius Burckhardt hat dem heute praktizierten Design schon in den 1970er Jahren „Kontraproduktivität“ vorgeworfen, weil es ständig „isolierte Erfindungen“ hervorbringt statt grundlegender Lösungen.

Jesko Fezer: Er hat glaube ich diese Kontraproduktivität am Beispiel der Zwiebelschneidemaschine beschrieben: Sie schneidet schneller Zwiebeln – hier wird Zeit gespart –, muss aber aufwendig gereinigt werden – hierfür wird Zeit, aber auch viel Wasser und Spülmittel verbraucht. Brauchen wir dafür nun eine Geschirrspülmaschine oder sogar eine eigene Zwiebelschneidemaschinen-Reinigungsmaschine? Isolierte Problemlösungen, die bestimmte kleine Fragestellungen bearbeiten, führen in der Regel zu Folgeproblemen, die wieder durch neue Produkte gelöst werden. Für Designer und Architekten ist das toll, weil sie wieder neue überschaubare Aufgaben bekommen.

Fabulous St. Pauli: Gemessen daran leben wir eigentlich in einem sehr kontraproduktiven Zeitalter.

Jesko Fezer: Ja. Wir haben eine sehr hohe Produktivität in Bezug auf einzelne Artefakte, für die weitere Artefakte geschaffen werden müssen, um sie in einen Zusammenhang zu bringen. Schutzhüllen oder Autohalterungen für Smartphones sind eine gutes Beispiel dafür. Produkte benötigen Produkte, um sie entweder im Kontext anderer Produkte oder auch nur im Kontext der Menschen – mit schmutzigen Händen und manchmal schusselig – nutzen zu können.Die Debatte um Nachhaltigkeit und Umweltfolgen deckt eine Seite dieser Kontraproduktivität eklatant auf. Es wird wahnsinnig viel Abfall produziert, Energie verschwendet, um diese hohe Produktivität aufrechtzuerhalten.

Fabulous St. Pauli: Diesem Problem will das Ökodesign begegnen. Ist es der richtige Ansatz?

Jesko Fezer: Ökodesign ist oft ein Taschenspielertrick. Solange die Vermarktung und Produktion von Dingen darauf abzielt, jedes Jahr mehr zu produzieren und zu verkaufen werden, solange sind nachhaltige, leicht abbaubare oder Cradle-to-Cradle-artige Produkte nur eine Abmilderung des Elends. Nichts zu produzieren ist umweltfreundlicher als etwas zu produzieren. An dieser Tatsache kann kein Biochemiker, kein Ingenieur, kein Designer etwas drehen.

Das heißt nicht, dass diese Ansätze unwichtig wären. Nur sind viele Akteure auf dem Feld Ökodesign blind für die ideologische Grundlage der heutigen Warenproduktion. Die Ausbeutung von Arbeitskräften in Billiglohnländern und das Verklappen von Mülle auf anderen Erdteilen sind ja keine Nebenerscheinung, sondern eine Grundlage dafür, dass immer mehr und billiger Konsumprodukte produziert werden können.

Fabulous St. Pauli: Gibt es Dinge, die eigentlich keines Redesigns mehr bedürfen?

Jesko Fezer: Vielleicht solche Sachen, die oft in Design-Museen stehen und dadurch ihr Image unabhängig von Trends stabil halten können. Zum Beispiel die Stühle von Charles und Ray Eames oder von Marcel Breuer. Die scheinen zeitlos zu sein, was man daran sieht, dass in Italien der Marktanteil dieser Designklassiker schon genauso groß ist wie der von neu entwickelten Bürostühlen. Bei Turnschuhen ist es ähnlich. Da scheint sich zwischen Designklassikern und Innovation etwas einzupendeln. Dennoch könnte man aus ergonomischen oder ökologischen Gründen hier auch mal was redesignen

Fabulous St. Pauli: Nun aber doch die unvermeidliche Frage: Was ist gutes Design?

Jesko Fezer: Gutes Design ist soziales Design. Es ist nicht unbedingt an seinem Aussehen zu erkennen oder an seinem technischen Innovationsgehalt. Gutes Design ist Design, das das Leben vereinfacht und verschönert, die Kommunikation verbessert, die Menschen zusammenbringt, ihnen Freiheiten gibt. Design muss Möglichkeitsräume eröffnen für eigenständiges Handeln, für Kollektivität. Es soll helfen, Probleme zu lösen, aber nicht, indem lediglich Experten einfache und verkaufbare Lösungen finden. Das fängt beim Stuhl an: Der Stuhl schlägt eine bestimmte Sitzhaltung vor, ich möchte auf dem Stuhl aber auch stehen können, um ein Bild aufzuhängen, ich möchte ihn reparieren können, ich möchte darauf rumlungern können, ohne dass ich dumm darauf aussehe, ich möchte ihn gegen die Wand werfen und dabei sollte er zu Bruch gehen und ein lautes Geräusch machen, ich möchte zu zweit drauf sitzen, ich möchte darauf einen hohen Bücherstapel anhäufen… Solche Fragen beschäftigen uns, wenn wir gutes Design machen wollen. Wie können die Dinge gebraucht werden – und wie bringen sie uns in Freiheit?

Interview: nbo.

Das Interview erschien zuerst in Technology Review 6/2013.