Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu Fàbrica:
- Worum geht es bei dem Projekt Fábrica?
- Was ist das „DIY Phone“?
- Wird das DIY Phone wirklich komplett selbst hergestellt?
- Warum sollte jemand ein Mobiltelefon selbst bauen wollen?
- Ist das DIY Phone „fair“?
- Wer kann an Fábrica teilnehmen und was kostet es?
- Muss man sich anmelden?
- Wie läuft der Zusammenbau praktisch ab?
- Was ist Fabulous St. Pauli e.V.?
- Was ist ein Fab Lab?
- Werden 3D-Drucker wirklich die Industrie revolutionieren, wie es inzwischen immer wieder in den Medien heißt?
- Warum findet Fábrica im Park Fiction statt?
- Wer finanziert Fábrica?
Worum geht es bei dem Projekt Fábrica?
Das Fab Lab Fabulous St. Pauli baut für vier Wochen eine temporäre Produktionsanlage für Mobiltelefone im Gezi Park Fiction auf St. Pauli auf. Darin können alle, die Interesse haben, das von David Mellis entwickelte „DIY Phone“ selbst zusammenbauen. Fabulous St. Pauli will damit zeigen:
– dass sich inzwischen auch komplexere, elektronische Gegenstände selbst produzieren lassen,
– dass ein Massenprodukt wie das Mobiltelefon nicht nur aus einer ökologisch und sozial meist fragwürdigen Industrieproduktion stammen muss,
– dass elektronische Produkte keine „Black Boxes“ sein müssen, in die man nicht hineinschauen und die man nicht verstehen kann,
– wie eine dezentrale und in Teilen selbstbestimmte Produktion in den Innenstädten der Zukunft aussehen könnte, und
– dass sich in dieser Produktionsweise die Grenzen zwischen Technik und Kunst immer weiter auflösen. Menschen, die vorher vielleicht nur Konsumenten waren, eignen sich die Möglichkeit an, selbst produktiv tätig zu werden. Dies knüpft auch an die Mission von Joseph Beuys an: „Mir kommt es darauf an, erkenntnistheoretisch den Punkt zu finden, an dem der Mensch sich als ein freischöpferisches Wesen erkennt, … daß er nicht ein Abhängiger ist im gesellschaftlichen Getriebe.“ (1970)
Das DIY Phone ist eine Konstruktion des Informatikers David Mellis vom MIT Media Lab aus dem Jahr 2012. David hat eine ausführliche Bauanleitung unter web.media.mit.edu/~mellis/cellphone/ ins Netz gestellt.
Die Hardware-Design-Files für Platine und Gehäuse liegen auf github.com/damellis/cellphone2hw – die Software auf github.com/damellis/cellphone/. Jeder kann sich Bauanleitung, Design-Files für die Platine und die Software runterladen, sich die Einzelteile besorgen und das Mobiltelefon selbst bauen – ohne Lizenzgebühr.
David gehörte bereits 2006 zur Entwicklergruppe des „Arduino Controllers“, einer Platine, die viele Selbstbau- und Open-Hardware-Maschinen steuert. Er macht auch sonst sehr interessante Projekte, es lohnt sich, auf seiner Seite zu stöbern: web.media.mit.edu/~mellis/
Wird das DIY Phone wirklich komplett selbst hergestellt?
Nein, die Bauteile wie GSM-Modul, Tastaturknöpfe, Kondensatoren, Widerstände, Displays etc. sind Bauteile, die industriell gefertigt werden. Was die Fábrica-Teilnehmer selbst machen, ist die Montage, also das Zusammenlöten der Geräte, und das Gehäuse. Bis sich auch sämtliche elektronischen Bauteile vor Ort selbst herstellen lassen, dürfte noch Jahre dauern.
Warum sollte jemand ein Mobiltelefon selbst bauen wollen?
Vielleicht: weil es einfach geht. Vielleicht: weil es ein cooles Gerät ist, dessen Gehäuse und – in begrenztem Ausmaß – dessen Innenleben man selbst gestalten kann. Vielleicht: weil man keine Lust mehr auf „unfair“ produzierte Mobiltelefone hat. Vielleicht: weil man etwas dazu lernen möchte. Es gibt viele Motive, das DIY Phone zu bauen. Keines ist besser oder schlechter als ein anderes. Am Ende geht es aber immer auch um den Do-It-Yourself-Spirit.
Per se ist das DIY phone nicht fairer oder unfairer als andere Handys, zumindest ist dies nicht die Intention von David Mellis gewesen. Der entscheidende Punkt ist erst einmal, dass es keine totale Black Box ist – und damit die Möglichkeit besteht, bestimmte Bauteile nicht zu verwenden: zum Beispiel die beiden Tantal-Kondensatoren auf der Rückseite der Platine. Tantal stammt aus der Coltan-Produktion vor allem in Ost-Kongo, die seit Jahren die dortigen militärischen Konflikte verschärft hat. Stattdessen lassen sich etwa Aluminium-Kondensatoren verwenden. Auf diese Weise könnte man das gesamte DIY Phone nach Bauteil-Alternativen durchgehen. Da es von Interessierten selbst gebaut wird, sind die Arbeitsbedingungen auf jeden Fall „fairer“ als in den großen Produktionsfabriken in Asien.
Wer kann an Fábrica teilnehmen und was kostet es?
Jeder kann an Fábrica teilnehmen oder auch einfach nur zuschauen. Der Eintritt ist selbstverständlich frei.
Der Elbkulturfonds hat Geld für 50 Geräte bewilligt. Diese dürfen vorerst nicht verschenkt oder verkauft werden, sondern werden nach Ablauf von Fábrica noch einmal in einer eigenen Ausstellung vorgestellt. Wie diese Geräte nachher genutzt und an diejenigen vergeben werden, die sie zusammengebaut haben, klären wir noch mit der Kulturbehörde.
Weil in den Voranmeldungen bereits etliche Interssierte bekundet haben, ein DIY Phone gegen Zahlung der Materialkosten mitnehmen zu wollen, haben wir noch zusätzliche Bausätze bestellt. Die Liste der Bauteile findet Ihr hier. Die Materialkosten für einen Bausatz betragen 108,32 €.
Weil im Vorfeld schon viele Leute Interesse bekundet haben, an den Handy-Bau-Workshops teilzunehmen, ist es besser, sich voranzumelden. Das hilft uns auch, die Interessierten besser auf die Workshops zu verteilen. Das Programm gibt es hier.
Wie läuft der Zusammenbau praktisch ab?
Der Zusammenbau wird in Workshops erfolgen, an denen mehrere Personen teilnehmen können. Wir haben zurzeit 16 Workshops angesetzt. In jedem Workshop sollen drei Handys gebaut werden, entweder von Einzelpersonen oder von kleinen Teams. Da die Zahl der Voranmeldungen aber schon weit darüber hinausgeht, bieten wir vielleicht noch zusätzliche Workshops an.
Der Zusammenbau läuft, vereinfacht gesagt, so ab: Zuerst werden alle elektronischen Bauteile gesichtet, dann auf die Platine des Handys gelötet, im dritten Schritt die Software auf das Gerät gespielt, der Akku angelötet und schließlich das Gehäuse gefertigt. Das Gehäuse kann jede*r selbst entwerfen: aus Holz (mittels Laserschneider oder Fräse) oder aus Kunststoff (mittels 3D-Drucker).
Im Produktionspavillon gibt es alle dafür nötigen Geräte: Lötstation, Lötofen, Laptops, Laserschneider, Fräse, 3D-Drucker.
Ein Workshop dauert ca. 2,5 bis 3 Stunden. Das Gehäuse kann auch später gebaut werden – schließlich hat man nicht immer sofort die zündende Idee, wie es aussehen soll.
Fabulous St. Pauli e.V. hat im Dezember 2013 den Zusammenbau bereits in einem Testlauf durchgespielt. Alle Interessierten konnten sich die Arbeit anschauen, die im Gewerbe 5 beim Grünen Jäger stattfand. Die Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte findet sich hier.
Was ist Fabulous St. Pauli e.V.?
Fabulous St. Pauli e.V. gründete sich 2011 als gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, ein erstes Fab Lab in Hamburg aufzubauen. Zurzeit befindet es sich in der Lerchenstr 16a und ist jeden Donnerstag ab 16:30 für alle geöffnet.
Fab Lab steht für „Fabrication Laboratory“, also für Fabrikationslabor. Das ist eine offene Werkstatt, in der auch Nicht-Experten Zugang zu Produktionsmethoden bekommen, die bis vor kurzem nur der Industrie vorbehalten waren. Möglich ist dies, weil viele Produktionsmaschinen heute zum einen computergesteuert arbeiten und es zum anderen immer mehr Versionen solcher Maschinen gibt, deren Konstruktionspläne und Steuersoftware frei verfügbar sind (als sogenannte Open Hardware). Ein gutes Beispiel sind 3D-Drucker: Waren Industriegeräte bis vor wenigen Jahren nicht unter 15.000 Euro zu haben, gibt es Selbstbausätze als Open Hardware heute schon ab 300, 400 Euro (reine Materialkosten).
Neben 3D-Druckern arbeiten Fab Labs mit Laserschneidern, Fräsen und auch Lötstationen, denn ein Teil der Idee ist, dass Nicht-Experten auch Dinge mit elektronischen Bauteilen selbst bauen können. Fab Labs sind Orte, an denen die Idee „Hightech für alle“ verwirklicht werden soll, Knowhow geteilt und gemeinsam produziert wird – ohne dass es darum gehen muss, ein Produkt für den Markt herzustellen. Im Prinzip sind sie eine Weiterentwicklung von Stadtteilwerkstätten, wie sie in den 1970er und 1980er Jahren entstanden, nur dass diesmal nicht mehr Tischlern oder Schweißen im Vordergrund stehen, sondern neue computergesteuerte Maschinen die Geräteausstattung ergänzen.
Dabei geht es auch darum, sich aus der reinen Konsumenten-Haltung zu lösen und anzufangen, selbst zum Produzenten für persönliche Dinge zu werden. Immer mehr Menschen sind heute unzufrieden mit den gängigen Produkten, weil sie nicht wissen, wie diese hergestellt werden, oder weil bestimmte Dinge so gar nicht hergestellt werden.
Das erste Fab Lab wurde als experimentelle Universitätswerkstatt 1998 von Neil Gershenfeld am Massachusetts Institute of Technology (Cambridge, USA) eingerichtet, das zweite folgte in Boston 2003. Gershenfeld gründete in den folgenden Jahren weitere Fab Labs in Costa Rica, Ghana, Südafrika, Indien und Norwegen. Inzwischen gibt es über 100 Fab Labs weltweit, die sich einmal im Jahr auf einer internationalen Konferenz treffen. Die Fab10-Konferenz fand im Juli in Barcelona statt.
Fabulous St. Pauli hat auf der Fab6 ein langes Interview mit Neil Gershenfeld zu Fab Labs und Digital Fabrication geführt.
Werden 3D-Drucker wirklich die Industrie revolutionieren, wie es inzwischen immer wieder in den Medien heißt?
3D-Drucker sind faszinierende Geräte, kein Zweifel. Am Computer erzeugte Modelle nehmen im 3D-Drucker Schicht für Schicht Gestalt an. Das erinnert schon ein wenig an die „Replicator“-Magie von Star Trek. Obwohl man inzwischen viele Materialien in 3D-Druckverfahren verarbeiten kann (Kunststoff, Stahl, Holz, Schokolade, Gewebe, Gips, ja sogar Beton), haben sie Grenzen. Der Bauraum in den meisten Geräten ist für viele alltägliche Objekte zu klein. Die größten handelsüblichen Geräte erlauben Gegenstände von vielleicht einem Meter Breite, einem Meter Tiefe und einem Höhe.
3D-Druckverfahren sind auch deutlich langsamer als etwa der industrielle Spritzguss. Schon Objekte mit einem Materialvolumen von 20 Kubikzentimetern zu drucken, dauert anderthalb Stunden und mehr. 3D-Druckverfahren eignen sich nicht, wenn man ganze Serien, erst recht große Stückzahlen drucken will. Außerdem sind die Materialkosten (noch) nicht billig.
3D-Drucker eignen sich, um Einzelstücke oder ganz kleine Serien herzustellen, die individuell gestaltet sind. Aber sie ersetzen nicht die Massenproduktion vieler alltäglicher Objekte oder Standardbauteile („Halbzeuge“).
Warum findet Fábrica im Park Fiction statt?
Park Fiction, seit Sommer 2013 Gezi Park Fiction, ist aus einer kollektiven, selbstbestimmten Anwohnerplanung hervorgegangen. Der Park entstand statt eines geplanten Appartment-Hauses, nachdem sich die Bewohner von St. Pauli Süd erfolgreich gegen diesen Plan gewehrt hatten. Der Gedanke, etwas möglichst selbstbestimmt in die Hand zu nehmen, verbindet Fabulous St. Pauli e.V. und das Fábrica-Projekt miteinander.
Zum anderen ist der Ort auch industriegeschichtlich interessant. Er liegt gegenüber der Docks von Blohm & Voss, die nach wie vor die klassische Industrie Hamburgs repräsentieren. Der Fábrica-Pavillon steht hingegen für eine neue Art der Produktion, die die herkömmliche Industrie in den nächsten Jahren ergänzen wird: kleinteilig, dezentral, häufig auch Community- und nicht Weltmarkt-orientiert.
Fábrica wird von der Hamburger Kulturbehörde mit Mitteln aus dem Elbkulturfonds gefördert. Das Projekt ist nicht-kommerziell. Fabulous St. Pauli finanziert sich ansonsten ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden.
Für weitere Fragen: Mail an public (ät) fablab-hamburg.org